Einem Mann ist etwas peinlich (Foto: pixabay.com)
Peinlich! Aber wieso?

Offener Hosenstall in der Öffentlichkeit, Kondome kaufen, Sexszenen im Fernsehen, wenn die Eltern daneben sitzen: So viele Dinge sind uns peinlich. Aber warum ist das eigentlich so?

„Peinlich ist uns immer dann etwas, wenn es gegen unsere Erziehung, gegen die Normen und Konventionen spricht.“
Florian Schumacher (Foto: SR/UNSERDING)
Dr. Florian Schumacher

Das sagt Dr. Florian Schumacher, Arzt in einer psychiatrischen Praxis in Saarbrücken. Er nennt dafür ein Beispiel, das uns bestimmt allen bekannt vorkommt:

Die Wohnung ist super unordentlich. Wir müssen aber spontan jemanden reinlassen: Handwerker, weil es einen Notfall gibt, oder die Eltern, die überraschend zu Besuch kommen. Warum schämen wir uns dann für unsere unaufgeräumte Wohnung? „Das liegt daran, dass wir dazu erzogen worden sind, aufzuräumen. Wir halten uns aber nicht immer unbedingt daran – und wenn dann jemand unser Chaos sieht, ist uns das unangenehm und wir haben den Drang, uns zu entschuldigen.“

Kleinkinder kennen keine Peinlichkeiten

Es widerspricht dann eben dem, was wir gelernt haben. Deswegen ist kleinen Kindern auch noch nichts peinlich. Sie zeigen zum Beispiel mit dem Finger auf Leuten und reden laut über sie, bis sie lernen, dass man so etwas eigentlich nicht macht. Es wird uns also irgendwann anerzogen, uns auf eine gewisse Art und Weise zu verhalten.

Zwei Kinder stehen nebeneinander (Foto: pixabay.com)
Kindern ist vieles noch nicht peinlich

Das überträgt sich sogar auf unser Selbstbild. Wir haben gelernt, dass wir ein gewisses Aussehen haben sollen. Wenn wir diesem gelernten Schönheitsideal dann nicht entsprechen, dann ist es uns zum Beispiel peinlich, in Badesachen im Freibad rumzulaufen. Das ist natürlich eine Art Peinlichkeit, die uns nicht hilft oder positiv ist. Gefährlich kann das Schamgefühl auch werden, wenn wir uns für etwas schämen, wofür wir eigentlich zum Arzt gehen müssten.

Die Kultur spielt eine Rolle

Außerdem hat Scham viel mit der Kultur zu tun, in der wir groß werden. Denn die legt auch die Regeln fest, nach denen wir uns in der Öffentlichkeit verhalten. Während das Naseputzen hier beispielsweise völlig normal ist, gilt es in China als etwas Privates – in der Öffentlichkeit schämen Menschen sich dafür. Andersherum wird in Japan beispielsweise die Suppe geschlürft, was als Ausdruck von Höflichkeit gilt. Und das wiederum wäre uns hier im Restaurant wahrscheinlich ziemlich peinlich.

Warum reagieren wir auch körperlich?

Wir werden rot und fühlen unser Herz rasen – das ist die Reaktion darauf, wenn uns etwas Peinliches passiert. Unser Körper bereitet sich so darauf vor, flüchten zu müssen, schaltet ins Notfallprogramm. Dagegen können wir uns nicht wehren.

Das Herz eines Menschen (Foto: pixabay.com)
Auch unser Puls steigt, wenn uns etwas peinlich ist

Aber das Gefühl von Peinlichkeit hat für uns durchaus auch Vorteile. Denn um uns davor zu schützen, befolgen wir die Regeln unserer Gesellschaft. Und dadurch funktionieren wir und verstehen uns besser in einer großen Gemeinschaft. Experimente haben auch ergeben, dass wir jemandem, der sich für einen Regelverstoß oder ein Missgeschick schämt, eher wieder verzeihen als jemandem, dem dieser nicht ein bisschen peinlich ist. Wenn andere uns ansehen, dass uns etwas peinlich ist, macht uns das sympathisch. Rot werden ist quasi eine Entschuldigung ohne Worte.

Es ist also eine völlig normale Reaktion der Psyche, dass uns Dinge peinlich sind. Außerdem ist es wichtig für das Miteinander!


Über dieses Thema wurde auch in der UNSERDING-Morningshow mit Thurie am 19. August 2020 berichtet.